Unheimliche Geschichten (Vollständige deutsche Ausgabe) by Fjodor Sologub
Autor:Fjodor Sologub [Sologub, Fjodor]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9788026864974
Herausgeber: e-artnow
veröffentlicht: 2016-06-29T16:00:00+00:00
II.
Inhaltsverzeichnis
Vom langen Laufen keuchend, blieb Mitja auf dem Absatz einer schmalen schmutzigen Treppe im zweiten Stock stehen. Aus der offenen Türe wehte ihm Küchendunst entgegen. Er hörte die böse Stimme seiner Mutter. Mitja trat unentschlossen in die Küche, wo es nach zerlassener Butter, Zwiebel und Ofendunst roch und blieb an der Schwelle stehen. Wieder überkam ihn das gewohnte Gefühl der Obdachlosigkeit in dieser Wohnung, die ihm fremd war und ihm doch als Obdach diente.
Seine Mutter, die Köchin Aksinja, stand zerzaust, erhitzt, mit bloÃen roten Armen, in alter durchgebrannter Schürze vor dem Herd und briet etwas, was auf der Pfanne zischte und mit Butter um sich spritzte. Dünne Flämmchen, so rot wie Rajetschkas rieselndes Blut, züngelten aus der nicht fest geschlossenen Herdtüre hervor. Das Fenster und die Türe standen offen, und in der Küche zog es. Aksinja fluchte auf die Gnädige, auf ihr eigenes Leben, auf den Braten und das Brennholz.
Mitja fühlte sich von der Gereiztheit seiner Mutter gleichsam angesteckt. Er wuÃte, daà sie ihren Ãrger an ihm auslassen werde.
»Was stehst du an der Schwelle?« schrie Aksinja, das rote erboste Gesicht mit den tränenden Augen, über denen dünne Flechten ergrauender Haare zitterten, zu Mitja wendend. »Was hat dich der Teufel hergebracht? Mir ist es auch ohne dich übel genug!«
Mitja ging in die kleine, an die Küche anstoÃende Kammer, in der er mit der Mutter wohnte. Aus der Küche tönte noch immer durch das Zischen der Butter hindurch Aksinjas böses Brummen:
»Da plage ich mich mein ganzes Leben wie eine verdammte Seele am Herde ab, â Gott verzeihe mir die sündhaften Worte! â und wenn der Sohn einmal groà ist, wird er an seine Mutter nicht einmal denken! Schön wird mich so ein Sohn ernähren! Er braucht die Mutter nur, solange sie ihm zu essen gibt!«
Mitja runzelte betrübt die Stirne, setzte sich auf den kleinen grünen Koffer in der Ecke und versank in seine traurigen Gedanken und Erinnerungen. Er dachte an Rajetschka, die mit zerschmettertem Kopf auf dem Pflaster lag ...
So vergingen einige Minuten. Aksinja machte die Türe auf und blickte in die Kammer hinein.
»Mitja, komm einmal her!« flüsterte sie verlegen.
Jetzt blickte sie den Sohn freundlich an, und das paÃte so gar nicht zu ihrem rohen, unschönen Gesicht. Mitja kam näher.
»Hier, ià derweil das!« sagte Aksinja, ihm einen noch heiÃen süÃen Pfannkuchen reichend. Dann verschwand sie wieder in der Küche.
Mitja spürte eine plötzliche Rührung, und seine Augen wurden feucht. Als er den Pfannkuchen aÃ, taten ihm die Backenknochen weh, und er konnte sie nur mit Mühe bewegen: so sehr würgten ihn die Tränen. Das schmerzvolle Mitleid mit der Mutter, das von ihren Klagen und ihrer ungelenken Zärtlichkeit geweckt worden war, war in ihm mit feinsten Fäden an das Mitleid mit Rajetschka geknüpft ...
Aksinja liebte ihren Sohn mit schmerzlicher Liebe, die bei armen Menschen so häufig vorkommt und an der beide Teile schwer zu leiden haben. Ihr armseliges, sorgenvolles Leben erfüllte sie mit Angst und gab ihr den Gedanken ein, daà aus Mitja, wenn er einmal groà ist, ein Trinker wird; daà er daran zugrunde gehen und sie auf ihre alten Tage im Stich lassen wird.
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